"Ich verkehre meistens nur mit den Allerärmsten, den Allerelendesten , den ganz untersten Schichten, in denen wir arbeitenden Frauen liegen - mit den Verzweifelten, für die es Hoffnung, Regung, Leben nur mehr in einer vollständig neuen Gesellschaft gibt."

Zu einer Zeit, als Frauen in der Arbeiterbewegung äusserst selten waren oder allenfalls eine untergeordnete Rolle spielten, gründete die erst 21-jährige Margarethe Faas-Hardegger 1903 ihre erste Gewerkschaft. Zwei Jahre später wurde sie als erste Frau zur Arbeitersekretärin des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes gewählt. In dieser Funktion reiste sie durch die Schweiz, um Vorträge zu halten und weitere Gewerkschaften zu gründen. In ihren Vorträgen prangerte sie die soziale Ungerechtigkeit und die Ausbeutung an, von der vor allem die arbeitenden Frauen betroffen waren. Dank ihres Redetalents gelang es ihr, die sonst eher zurückhaltenden Arbeiterinnen in die Gewerkschaftsbewegung zu integrieren. Sie gründete und leitete zwei Zeitschriften, die sich direkt an die Arbeiterinnen wandten.
Faas-Hardeggers Ansichten waren zu ihrer Zeit noch skandalös: Sie trat öffentlich für sexuelle Aufklärung, die Verbreitung von Verhütungsmitteln sowie für das Recht auf Abtreibung ein, warb für die freie Liebe und gegen die Ehe und forderte die Abschaffung der Armee. Zudem empfing sie bei sich zu Hause deutsche Flüchtlinge des Faschismus und kämpfte für die Friedens- und die Frauenrechtsbewegung.
Mit ihrem Temperament und ihren unkonventionellen Ideen stiess sie in ihrem Umfeld vor allem auf Ablehnung. Sie verlor ihre Stelle als Arbeitersekretärin, zerstritt sich mit Freunden und liess sich von ihrem Mann scheiden. Zwei von ihr gegründete Kommunen scheiterten. Für ihre Beihilfe bei mehreren Abtreibungen wurde sie schliesslich zu einem Jahr Gefängnis verurteilt.